„Henry Town“: Deutschlands kleinste Stadt in Hamburg-Lokstedt
Rund 200 Kinder haben sich über Himmelfahrt beim Einwohnermeldeamt von „Henry Town“ gemeldet und ihren Wohnsitz in die Kinderstadt des Hamburger Jugendrotkreuzes nach Lokstedt verlegt. Dort lebten sie vier Tage lang nach ihren eigenen Regeln und Gesetzen. Ihre Eltern bekamen höchstens als „Touristen“ bei einem geführten Stadtrundgang Zutritt. Die Einwohner von Henry Town suchten sich selber Berufe aus, arbeiteten unter anderem als Bäcker, Friseur, Kaufmann, Handwerker oder Journalist, saßen in der Bürgerversammlung und wählten eine Bürgermeisterin. Und wer keinen Job fand, ging zur Arbeitsagentur und wurde extra beraten.
Nora bedankte sich gleich mit einer Runde Freipizza „für alle“. Ihre Mitbürger hatten sie schließlich gerade zur Bürgermeisterin von Henry Town gewählt. Trotz der 30 Gegenkandidaten, die in einem heißen Wahlkampf mit Plakaten und Radiowerbung ebenfalls um die Stimmen der „Henry Towner“ gebuhlt hatten. Daher passte es nun gut, dass die 14-Jährige auch mit weiteren populären Amtshandlungen nicht geizte, Miete und Steuern senken ließ. Dass am Ende des Tages dennoch genug Geld im Staatssäckel war, um die Angestellten der Stadt zu bezahlen, stellten ihre Steuereintreiber mit Hausbesuchen sicher. „Wir ziehen die Steuern von allen Läden ein und bis jetzt hatten wir noch keinen einzigen Fall von Steuerhinterziehung“ sagte der 11-Jährige Nikias Witt, Geschäftsführer des Finanzamtes Henry Town. Und so funktionierte das Gemeinwesen in der wohl kleinsten Stadt Deutschlands, die für vier Tage mitten in Lokstedt auf dem Gelände des Corvey-Gymnasiums errichtet wurde, recht gut. Ein eigenes Rathaus, ein großes Postamt, ein gut ausgestattetes Krankenhaus, ein schönes Theater und eine tagesaktuelle Zeitung konnte Henry Town vorweisen. Sogar eine buddhistische Pagode sowie eine Stofftierwerkstatt gab es in der Kinderstadt des Hamburger Jugendrotkreuzes. Und noch vieles mehr. Dazu trugen auch die zahlreichen unterschiedlichen Berufe bei, die sich die jungen Bewohner im Alter von sieben bis zwölf Jahren selbst aussuchten. Um ihre „Henrys“ zu verdienen – so heißt die Währung in Henry Town, benannt nach dem Gründer des Roten Kreuzes, Henry Dunant. Mit ihren Einnahmen konnten die Bürger so zum Beispiel Süßigkeiten im Kiosk kaufen, die Lokalzeitung „Henry Blatt“ erwerben, Rundfunkwerbung für das eigenen Gewerbe beim Lokalradio schalten, zum Friseur gehen, das Nagelstudio oder das Theater besuchen.
Dass es in Henry Town dabei im Alltag gerecht zuging und sich niemand wegen vielleicht mal knapper Kasse von den vielen Angeboten der Stadt ganz ausgeschlossen fühlte, war natürlich Ehrensache in einer Jugendrotkreuz-Stadt. Wer arbeitslos wurde und um seine Einnahmen bangte, konnte sich von der Agentur für Arbeit individuell beraten lassen. Dort gab es freie Stellen: Vom Beamten über Schmuckdesignerinnen und Friseure bis hin zum Geschäftsführer waren in Henry Town zahlreiche Berufe im Angebot. „Die Kinder übernehmen Verantwortung für sich und andere. Sie treffen Entscheidungen und tragen die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Sie erleben unmittelbar wie eine richtige Stadt funktioniert“, erklärte Hamburgs DRK-Präsident Wilhelm Rapp. „Es ist ein Projekt der Kindermitbestimmung. Kinder können hier im Spiel lernen, welche Aufgaben sie übernehmen wollen und welche Entscheidungen was bewirken“, formulierte es Claudia Kalina, Landesreferentin vom Jugendrotkreuz Hamburg. Doch unabhängig davon, wie die Entscheidungen auch ausfielen oder ob der gewählte Beruf viel oder wenig Geld einbrachte: Hungern und im Freien schlafen muss in Henry Town grundsätzlich niemand. Auch diesmal betreuten rund 150 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer alle Bewohner während der vier Tage, sorgten für die Unterbringung und stellten als „Nachtwächter“ sicher, daß nach einem langen Arbeitstag mit der „Sperrstunde“ um 22.00 Uhr Ruhe einkehrte. Auch an dieser zuletzt genannten, eisernen Regel in der kleinsten Stadt Deutschlands konnten weder die Bürger von Henry Town noch ihre Bürgermeisterin Nora was ändern.
Henry Town im Jubiläumsjahr des DRK Hamburg
Namensgeber der Kinderstadt ist Henry Dunant, der Gründer des Roten Kreuzes. Das Projekt „Henry Town“ wurde in diesem Jahr zum vierten Mal in Hamburg anlässlich des 150. Geburtstages des DRK Hamburg ausgerichtet. Über weitere Aktionen zum Jubiläumsjahr informiert der DRK Landesverband Hamburg e.V. auf der gesonderten Internetseite www.150jahre.drk-hamburg.de. Das Projekt Henry Town – die Kinderstadt des Hamburger Jugendrotkreuzes – wurde aus Mitteln der Glücksspirale/LOTTO Hamburg unterstützt.
Rainer Barthel
Mehr Fotos von "Henry Town" gibt es hier.